Gemeinsinn und Eigensinn - Studien zur Geschichte der Menschheit
Gemeinsinn und Eigensinn - Studien zur Geschichte der Menschheit 

Gemeinsinn und Eigensinn

Eine Studie zur Menschwerdung 

Was hat den Menschen zum Menschen gemacht? Woher kommen Gemeinsinn und Egoismus? Und das, was wir unter Humanität verstehen?  

Ich gehe in der Studie (im Teil I) auf einige zentrale Aspekte der Menschwerdung ein. Später (im Teil II) skizziere ich die großen historischen Umbrüche, die bis heute unser Leben bestimmen.

Im Vorwort ist nachzulesen, was mich zur Studie motivierte. Es geht ganz wesentlich auch darum, woher die Ideale von "Humanität" und "Gerechtigkeit"  stammen.

Vorwort.pdf
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In einer ZEITTAFEL habe ich die wichtigsten Epochen und Ereignisse zusammengestellt, die in der Studie thematisiert werden.

Zeittafel.pdf
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Teil I: Der Mensch - ein Wir

Der Teil I der Studie „Der Mensch – ein Wir“ blickt zurück auf die Entstehungsgeschichte der Menschen. Meine zentrale These: Keine andere höhere Primatenart hat sich so wie der Homo sapiens (und andere frühe Menschenarten) auf die Gemeinschaftsjagd auf Großwild bzw. auf einen kooperativen Nahrungserwerb durch Sammeln und Jagen spezialisiert. Kooperation und Gemeinsinn sind über Jahrhunderttausende entscheidend für das Überleben der frühen menschlichen Sozietäten. Der Mensch entwickelt sich als „Wir". Teil I der Studie umfasst ca. 80 Seiten.

I. Der Mensch ein Wir.pdf
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Die einzelnen Kapitel (1. - 9.) beziehen  sich auf zentrale Aspekte der Menschwerdung. Sie können auch "für sich" gelesen werden.

Im Folgenden stelle ich die neun Kapitel (und das Resümee) kurz vor und biete sie jeweils als pdf-Dokument an.

Einleitung.pdf
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Familienfest: gemeinsames Essen

1. Kooperation, Nahrungsteilung und Gemeinsinn – das Erfolgsrezept des Überlebens

Kooperation ist ein Schlüsselbegriff der Menschwerdung. Die Nahrung wird kollektiv beschafft, Bedrohungen werden gemeinsam abgewehrt. Der einzelne Mensch hat nur in der Gemeinschaft eine Überlebenschance. Die Gemeinschaft wiederum überlebt nur durch enge Kooperation der Mitglieder. Dies begründet ein tief verankertes Wir-Gefühl, ich nenne es Gemeinsinn. 

Menschen teilen die  Nahrung in der Gruppe. Für uns ist das normal und selbstverständlich, bei Primaten sonst aber sehr ungewöhnlich bzw. unbekannt. Das „gerechte“ bzw. „faire“ Verteilen der  Nahrung und die gemeinsame Nahrungseinnahme scheinen artspezifisch menschlich zu sein. Sie sind Ausdruck des sozialen Zusammenhalts, und der existenziellen Bindung aneinander. 

Ich vermute in der „fairen“ Nahrungsverteilung den emotionalen und ideellen Kern des den Menschen auszeichnenden Gerechtigkeitssinns.                   

1. Kooperation.pdf
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Pieter Brueghel d. Ä., Turmbau zu Babel

2. Sprache: Verständigung auch über Vergangenes, Zukünftiges, Abwesende(s), Fiktives

Die Kommunikationsmöglichkeiten der menschlichen Sprache übersteigen die anderer Primaten bei weitem. 

Sprache dient vermutlich ursprünglich vor allem dazu, den sozialen Zusammenhalt in der Gemeinschaft zu festigen. Sprache wäre dann „sozialer Kitt“, der das Zusammenleben auch in größeren Gemeinschaften ermöglicht und Kooperation und Gemeinsinn sichert. 

Mit der entwickelten Sprache entsteht auch ein weiteres Spezifikum des Menschen: sein Vorstellungsvermögen (Imagination, Einbildungskraft). Die Imagination schafft eigene Welten, eine zweite Realität; sie ist ein höchst ambivalentes Potenzial.

Sprache und Einbildungskraft eröffnen der jeweiligen Gemeinschaft eine eigene Welt der Erzählungen, der Mythen und der religiösen Selbstvergewisserung. Sprache und sprachbasierte Kultur (Mythen, Kunst, Religion) verbinden die Menschen einer Gemeinschaft – und trennen sie zugleich von anderen Sozietäten. 

2.Sprache.pdf
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Peter Paul Rubens, Alte Frau und Junge mit Kerze

3. Empathie und Altruismus fundieren Gemeinsinn

Empathie und Altruismus kennzeichnen „Menschlichkeit". Empathie meint die Einfühlung in die Stimmungslage, die Gefühle und die Absichten (Intentionen) anderer. Sie stärkt so den sozialen Zusammenhalt, die Kooperation und die wechselseitige Unterstützungsbereitschaft.

Empathie bezieht sich ursprünglich nur auf  das „Wir“, also die Mitglieder der eigenen Gemeinschaft. Gegenüber anderen Menschengruppen (Fremden oder gar Feinden) oder Beutetieren können Menschen auf erschreckende Weise völlig unempathisch reagieren.

Empathie ist eng verbunden mit Altruismus. Die besondere Betonung altruistischer (uneigennütziger, selbstloser) Werte und Normen ist ein auffälliges Merkmal menschlicher Sozietäten – und zwar universell.

Auch altruistische Werte werden zunächst nur bezogen auf die eigene (!) Gemeinschaft definiert. Nur deren Mitglieder gelten als „wahre Menschen“. Mit oft fatalen Folgen....... 

3.Empathie.pdf
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4. Rituale, Religion und Kunst "ordnen die Welt" und stabilisieren die Gemeinschaft

Nur Menschen kennen Religion, nur Menschen schaffen Kunst. Nur Menschen können sich mit der Endlichkeit der Existenz und den Unwägbarkeiten des Lebens (d. h. mit Kontingenz) auseinandersetzen.

Ab einer bestimmten Stufe der Evolution nehmen Menschen kosmische und irdische Strukturen (Regelmäßigkeiten, Ordnungen) bewusst wahr. Sie erleben aber auch immer wieder die vielen Ungewissheiten und Risiken des Lebens und die Unfassbarkeit des Todes. Durch gemeinsame Rituale und magische Zeichen versuchen sie die  die kosmische Harmonie und Ordnung wieder herzustellen. Die Rituale werden in der Folge zu zentralen Grundlagen und Bestandteilen der Kulte und der Religion. 

Religion verbindet die Mitglieder der Sozietät, zum einen durch die Überlieferung existenzieller Erzählungen und Sinndeutungen (z.B. Unglück als Strafe der Götter), zum anderen durch die zugeordneten Kulthandlungen, also die Zeremonien und Rituale, die den Kontakt zum Göttlichen herstellen. Insofern ist Religion, sind religiöse Erzählungen und religiöse Kulte, ein zentrales „Bindemittel“ der Sozietäten – und nicht zufällig universell in allen Kulturen vorhanden.

Rituale zur Bewältigung von Kontingenz sind  auch die zentrale Grundlage der Kunst. Alle frühen Kunstobjekte sind Bestandteil von Kultzeremonien bzw. dienen als magische Zeichen (mit Zauberwirkung). Sie sind Ausdruck einer Suche nach Schutz und Hilfe durch höherer Mächte bzw. sollen die jeweilige Gemeinschaft mit den Ahnen und dem kosmischen Ganzen verbinden. 

4.Rituale.pdf
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Hieronymus Bosch, Heuwagen-Triptychon (Ausschnitt)

5. Aggressionsbereitschaft sichert das Überleben und den sozialen Zusammenhalt

Aggressivität im Dienst der Gemeinschaft? Ein heikles Thema. Eine grundsätzliche Aggressionsbereitschaft und -fähigkeit des Menschen – zugespitzt: eine mitunter rücksichts- und teilnahmslose, ja brutale Gewaltbereitschaft – ist wohl kaum zu bestreiten. 

Der biologische Kern der Aggressivität ist m. E. die Selbsterhaltung des Individuums bzw. der Gemeinschaft, beim Menschen also des „Wir“. Zur Existenzsicherung gehört Feindvermeidung als oberstes biologisches Prinzip im Überlebenskampf aller tierischer Lebewesen, auch des Menschen.

Die Aggressionsbereitschaft gegen externe oder interne „Feinde“ ist ein archaisches Erbe, das bis heute virulent iist, vielfach politisch-ideologisch missbraucht wird und alle Bemühungen um universale Verständigung belastet.

5.Aggression.pdf
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Filmszene aus "Paradies" von U. Seidl: ein Tabubruch!

6. Sexualität – Ihre soziale Kontrolle ist nötig für den Zusammenhalt der Gemeinschaft

Öffentliche Sexualität (wie bei Affen üblich)  das geht doch bei uns Menschen gar nicht!?  Die Sexualität hat (auch) beim Menschen einen ganz besonderen, weit über die biologische Funktion hinausreichenden Stellenwert.

Bei Schimpansen und Bonobos herrscht Promiskuität. Promiskuität scheint aber für Sozietäten, die wie beim Menschen, existenziell auf sehr enge Kooperation und Gemeinsinn angelegt sind, konfliktträchtiger zu sein als ein System fester Paarbindungen. Beim Ritual der Eheschließung und bei der Institution der Ehe geht es ursprünglich auch um Konfliktvermeidung und um den Zusammenhalt der Gemeinschaft! Dazu passt, dass nur Menschen ein Schamgefühl und eine Intimsphäre entwickeln – und zwar in allen Kulturen und Völkern. 

Im Verlauf der Menschwerdung wird also auch die Sexualität zum „sozialen Kitt“ der Gemeinschaften.

6.Sexualität.pdf
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Großfamilie

7. Egalitäre Strukturen und Gemeineigentum festigen den Zusammenhalt

Territorialität und Rangordnung gehören zum Primatenerbe. 

Ich gehe aber davon aus, dass soziale Hierarchie bzw. Rangordnung in der Entwicklung zum Menschen in den frühen Sozietäten zunächst abgebaut wird, und es zu eher egalitären Strukturen kommt. Dadurch werden Kooperation und Gemeinsinn gestärkt und die Überlebenschancen der Gruppe verbessert. 

In den frühen Gemeinschaften des Menschen haben Privateigentum und die private Aneignung von attraktiven Gegenständen vermutlich keinen besonderen Stellenwert. 

Die entscheidenden Ressourcen für das Überleben der Sozietäten entziehen sich entweder jeder Vorstellung von „privatem Besitzanspruch“ oder sie gelten als „Gemeingut“, auf das die jeweilige Gruppe ein überliefertes Anrecht hat.

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San ("Buschmänner") der Kalahari

8. Werkzeuge und technologische Innovationen sichern das Überleben

Planmäßige Werkzeugherstellung und der differenzierte Werkzeuggebrauch sind ganz zentrale Merkmale des Menschen. Sie setzen die Fähigkeit zu zweckrationalem Denken und eine hohe Lernfähigkeit bzw. Intelligenz voraus. 

Werkzeuge sind immer auch Waffen für die Jagd oder für den Kampf gewesen; sie sind ein wichtiges Element der Überlebenssicherung. Entsprechend sorgfältig erfolgt i. d. R. ihre Herstellung.

Werkzeuge bzw. Waffen und andere Haushaltsgegenstände haben aber auch eine rituelle bzw. magische Bedeutung und symbolisieren über ihren praktischen Nutzen hinaus die jeweilige Kult-Gemeinschaft. 

Seit jeher entwickeln und optimieren Menschen neue Werkzeuge und Waffen, sie verfügen also über die Fähigkeit zu technologischen Innovationen (z. B. Erfindungen) bzw. über eine besondere Intelligenz. 

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9. Herausragende Lern- und Anpassungsfähigkeiten als Erfolgsrezept

Die außerordentliche Lernfähigkeit und Intelligenz ist ein herausragendes Merkmal des Menschen.

Menschliches Lernen ist in hohem Maße interaktiv, also sozial vermittelt. In den frühen Gemeinschaften spielt das Lernen von vertrauten Erwachsenen eine zentrale Rolle für die Sozialisation der Kinder. Das Lernen ist beim Menschen eingebunden in die jeweilige Gruppe, in das „Wir“.

Die Lernfähigkeit hat noch eine andere Dimension: die für Hominidae ganz außergewöhnliche Anpassungsfähigkeit und Flexibilität des Menschen (insbesondere des Homo sapiens) an wechselnde Umwelt- und Ernährungsbedingungen und sonstige Lebensumstände. Vielfalt und Flexibilität sind zentrales Kennzeichen des Homo sapiens.

9.Lernfähigkeit.pdf
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10.Resümee Teil I.pdf
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Teil II: Vom Wir zum Ich

Der Teil II der Studie „Vom Wir zum Ich“ beschreibt die dramatischen Umbrüche, die zu einer Auflösung der durch Gemeinsinn geprägten archaischen Gemeinschaften führen. 

Blickt man auf die 2,5 – 3 Mio. Jahre alte Menschheitsgeschichte der Gattung Homo, ist dieser Wandel ganz neu und jung, zugleich aber tiefgreifend und unumkehrbar. Damit verbunden sind u.a. drei  wesentliche gesellschaftliche Entwicklungen::

  • Von egalitären Strukturen zu Herrschaftsverhältnissen
  • Von der Gemeinsinnorientierung („Wir-Gefühl“) zum Individualismus
  • Von der ethnozentrischen zur universalistischen Perspektive.

In den folgenden Abschnitten skizziere ich einige zentrale historische Umbruchphasen:

1. Der Übergang zu Ackerbau und Viehzucht (Sesshaftwerdung)

2. Die Entstehung der sog. Zivilisationen (Stadtkulturen)

3. Wegbereiter der europäischen Moderne in der: Antike und im Mittelalter

4. Die Entwicklung der Moderne und des „westlichen Individualismus" (Bürgertum, Renaissance, moderne Wissenschaft, Kolonialismus u.a.)

5. Die zweite Phase der Moderne, verbunden mit Aufklärung, industrieller Revolution, Kapitalismus und Imperialismus sowie den sozialen Bewegungen Sozialismus, Nationalismus, Faschismus.

6. Abschließend ein kurzer Blick auf die derzeitige Digitalisierung und Automatisierung.

 

Die sechs Kapitel - auch sie können für sich gelesen werden - werden im Folgenden in Kurzform und als pdf-Dokument vorgestellt. Insgesamt umfasst Teil II 180 Seiten.

Der gesamte Teil II kann als Buch bestellt werden.

Teil II INHALT.pdf
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II. Vom Wir zum Ich.pdf
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0. Einführung.pdf
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1. Neolithische Revolution: Eine neue Lebensweise - mit Folgen!

Auch nachdem viele Menschengruppen zu Ackerbau und Viehzucht übergehen, bleibt die ursprüngliche Gemeinsinnorientierung noch lange bestehen. Kulte gewinnen nun einen enorme Bedeutung für die Existenzsicherung und sind ein zentrales Element im Zusammenleben.

Mit steigender Bevölkerungszahl, der Erzeugung erheblicher Überschüsse in der Bewässerungsfeldkultur und der Möglichkeit Arbeitsteilung einzuführen, entstehen Voraussetzungen für soziale Ungleichheit. Herrschaft entsteht aus den aufwändigen Kulten  - oder über kriegerische Eroberung.

Kap 1 Neolithische Revolution.pdf
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Totenmaske des Tutenchamun: der Pharao als Gottkönig

2. Zivilisationen: Gottgleiche Herrscher, Klassengesellschaft und Patriarchat

Der große Umbruch von eher egalitären Dorfgemeinschaften zu Zivilisationen (Stadtgesellschaften) vollzieht sich innerhalb erstaunlich kurzer Zeit überall dort, wo regelmäßig erhebliche Überschüsse produziert werden. 

Die ursprünglichen egalitären Gemeinschaften bestehen nicht mehr, stattdessen werden extreme Formen von Hierarchisierung etabliert: Klassengesellschaften mit gottgleichen Herrschern (meist Männern) an der Spitze. 

Unglaublich aufwändige religiöse Kulte sichern die Produktion und die Herrschaft.

Zusätzlich werden repressive Systeme (Militär-, Polizei- und Justizwesen) mit aus heutiger Sicht barbarischen Strafen eingeführt. Die Militarisierung der Gesellschaft geht mit einer zunehmenden Dominanz der Männer einher.  Kriege sind die Pfeiler aller antiken Zivilisationen, eine männliche Elite die Hauptprofiteure. 

Alle zivilisatorischen Errungenschaften und Neuerungen werden auf die eine oder andere Weise in diesen Prozess der Absicherung gottgegebener Herrschaft und der Ausweitung staatlicher Macht eingebunden. Die traditionelle Gemeinsinnorientierung wird immer weiter ausgehöhlt: durch Einführung des privaten Eigentums, des Kredit- und Geldwesens, der Schrift und Zahlenssteme. 

Kap 2 Zivilisation.pdf
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Wasserspeier an der Sint Jans-Kathedrale in 'S-Hertogenbosch

3. Wegbereiter der Moderne

Im ersten Jahrtausend vor Christus entstehen in einigen Kulturkreisen rationalistische, humanistische und universalistische Ideen und damit ein neues „Menschenbild“, das bereits auf die sog. Moderne verweist.

Der jüdisch-christliche und der griechisch-römische Kulturraum spielen dabei eine besondere Rolle - zumindest aus heutiger (eurozentrischer) Perspektive.

Im antiken Judentum und im frühen Christentum entstehen Ansätze einer universalistischen Ethik und Moral. 

In der griechischen Philosophie und Polis setzt sich in der Antike einer neuer Rationalismus gegen alle mythisch-magischen Traditionen durch, der universalistische Prinzipien und die Idee der Gleichwertigkeit aller Menschen formuliert. 

Altruistische Werte und Empathie (Nächstenliebe) sowie die Ideen der Gleichheit und sozialen Gerechtigkeit werden im sog. Westen im Verlauf des europäischen Mittelalters wiederbelebt.Sie verbinden sich mit neuen Ansprüchen auf  individuelle Freiheit und Partizipation und mit einer rationalen Weltsicht. 

Kap 3 Wegbereiter der Moderne.pdf
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Replik des "David" von Michelangelo

4. Die Moderne: Der neue Individualismus des "Westens"

Im westlichen Europa (Abendland) kommt es zu einer globalen Sonderentwicklung. Nur hier tritt mit dem städtischen Bürgertum im Hoch- und Spätmittelalter eine gesellschaftliche Klasse hervor, die einen neuen Individualismus repräsentiert. 

Mit der Renaissance (etwa ab 1450 n. Chr.) und/oder mit der „wissenschaftlichen Revolution“ (etwa ab 1600 n. Chr.) treten vermehrt selbstbewusste, kreative, wissbegierige, entdeckungsfreudige Menschen hervor, die auch den Konflikt mit Autoritäten nicht scheuen. 

Im Zuge der Reformation kommt es im westlichen Europa einerseits zu einem Rückzug in Innerlichkeit und Gewissensprüfung (Luthertum), andererseits zu einem verstärkten Streben nach beruflichem Erfolg durch Fleiß, Selbstdisziplin und rationales Nutzenkalkül (Calvinismus, Puritanismus). Die Eroberung und Kolonialisierung der Welt beginnt.

Die Folgen dieser Entwicklungen zeigen sich iin vielfältigen Formen: Ich-Bezogenheit, Fortschrittsglaube, LeistungsdenkenRationalität und Gefühlskontrolle sowie in einem rassistischen Herrenmenschentum.

The Walthamstow Tapestry" von Grayson Perry (Ausschnitt)

5.  Das Individuum zwischen Aufklärung und Kapitalismus 

Aufklärung, industrielle Revolution, Kapitalismus und Imperialismus kennzeichnen dramatische Veränderungen der Lebensverhältnisse weltweit. Sie haben im sog. Westen das Individuum aus traditionellen Bindungen und Zwängen gelöst und auch weltweit traditionelle Ordnungen  zerstört.

Mit der Aufklärung finden Ideen und Ideale Verbreitung, die heute zum Allgemeingut der Menschheit gehören: Menschenrechte, Recht auf Selbstbestimmung, friedliche Konfliktlösung, religiöse Toleranz usw. Das zielt auch auf eine universale Gemeinsinnorientierung.

Mit der Iindustriellen Revolution beginnt der globale Siegeszug des Kapitalismus. Dieser fordert und fördert zweckrationales Denken und Handeln, individuelle Vorteilssuche und Nutzenoptimierung und damit auch individuelles Leistungs- und Konkurrenzdenken. Eigensinn in seiner kalten Form, als rücksichtsloser Egoismus, als suchtartiges Streben nach Gewinn und die globale Entfaltung des modernen Kapitalismus gehen Hand in Hand. 

Gemeinschaftsangebote und -surrogate und religiös-ideologische Sinnversprechen bleiben aber bedeutsam. Der „westliche“ Individualismus sieht sich mit neuen Gemeinschaftserfahrungen und Gemeinsinn-Ideologien konfrontiert: Sozialismus bzw. Kommunismus sowie  Nationalismus bzw. Faschismus.  

6. Die digitale Revolution

Die Neuentwicklungen im Bereich digitalen bzw. elektronischen Datenverarbeitung (Computer – Internet – digitale Medien) führen seit Ende des 20. Jhds. zu den vielleicht folgenreichsten Veränderungen im Leben und Wirtschaften der Menschen seit der industriellen Revolution. Die Dynamik des Wandels ist rasant, die weiteren Entwicklungen kaum absehbar. 

Ich kann hier nur auf wenige Aspekte dieser Entwicklungen eingehen – vor allem im Hinblick auf die möglichen Folgen für Individualität und des Gemeinsinn. Thematisiert (skizziert) werden:

- Computersteuerung der Wirtschaft (Industrie 4.0) – Das Ende der Arbeit?

- Die Technologisierung des Alltags - Ein Rationalitätschub?

- Globale Kommunikation: Neue Möglichkeiten der medialen Zugehörigkeit, Partizipation und Selbstdarstellung

- Die Roboterisierung des Menschen - Das Ende des Individuums?.

Kap 6 Digitalisierung.pdf
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Teil III: Gemeinsinn und Eigensinn: Paradoxien der Moderne 

Der Mensch ist ursprünglich ein Wir. Nur durch enge Kooperation und Gemeinsinnorientierung haben die kleinen Gemeinschaften des Homo sapiens überleben und sich ausbreiten können (vgl. Teil I). Der Wunsch nach sozialer Zugehörigkeit, Gemeinschaft und Gemeinsinn ist menschheitsgeschichtlich tief verankert und auch heute noch sehr ausgeprägt und verbreitet.

Mehrere historische Umbrüche (vgl. Teil II) haben dazu geführt, dass der ursprüngliche Gemeinsinn sich auflöst und nun Eigensinn eine immer größere Bedeutung erfährt: als Streben nach individuellem Erfolg, nach Macht und Reichtum, aber auch nach persönlicher Freiheit und persönlichem Glück. Die Spannung zwischen Gemeinsinn und Eigensinn führt heute zu vielfältigen gesellschaftlichen und persönlichen Konflikten und Widersprüchen. Einige sollen hier thematisiert werden.

  1. Herrschaft: Wunsch nach individueller Partizipation versus Hoffnung auf (gottgesandte) mächtige Führer
  2. Individualisierung: Wunsch nach Selbstinszenierung versus Wunsch nach verlässliche Einbindung in eine soziale Gemeinschaft
  3. Universalisierung: Weltoffenheit und Weltgemeinschaft versus partikulare Abgrenzung.

Angesichts der Komplexität der Fragestellungen werden in diesem Teil der Studie nur Einzelaspekte thematisiert.

Einleitung Teil III.pdf
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Hieronymus Bosch, Heuwagen-Triptychon (Ausschnitt)

1. Hierarchie und Herrschaft: Autoritäre Führung oder demokratische Selbstbestimmung  und Gleichberechtigung

Wie sind politische Herrschaft und soziale Ungleichheit bzw. Ungerechtigkeit in der Menschheitsgeschichte entstanden? - Ich stelle hier noch einmal meine „K+K-Hypothese" vor und versuche dabei zu erläutern, wieso die über lange Zeiten egalitär strukturierten Gemeinschaften schließlich absolutistische Formen der Herrschaft durch „gottgesandte Führer" akzeptieren. Ich versuche aber auch zu zeigen, wo und wie Gleichheits- und Gerechtigkeitsideale bzw. die Ideen der Demokratie und Volkssouveränität überdauern und wiederbelebt werden konnten.

Heute konkurrieren Konzepte einer von gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürgern mitgestalteten und legitimierten Herrschaft (freiheitlich-demokratische Gesellschaften) mit autokratischen Formen, in denen sich selbst ermächtigende (gottgesandte?) Führer die Geschicke der Gesellschaft oder Nation in die Hand nehmen. 

III Gleichheit.pdf
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Bosch Experience 2016, 'S-Hertogenbosch

2. Individualisierung: Zwischen Freiheits- und Gemeinschaftssuche

In der Menschheitsgeschichte tritt vielerorts der  oder die Einzelne immer stärker hervor.  Das führt zu neuen Spannungen zwischen individuellen und gesellschaftlichen Ansprüchen und Anforderungen.

Der moderne Individualismus zeigt sich zerrissen zwischen dem Wunsch nach „Selbstverwirklichung" und der Suche nach dem verlässlichen „Wir", einem Wunsch nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Einsamkeit und Sinnkrisen sind Massenphänomene, ebenso wie Selbstinszenierungen, der Wunsch nach Beachtung und Anerkennung sowie nach sinnvollen Aufgaben in und für eine Gemeinschaft.

Es ist die Frage, ob und wie sich die Wünsche nach „individueller Freiheit" und „sozialer Zugehörigkeit" verbinden lassen -  ohne Rückgriff auf aggressive oder gewaltsame Formen der Ab- und Ausgrenzung. 

(Alte Beiträge dazu haben ich wieder gestrichen. Aktuell keine neuen Beiträge)

Hieronymus Bosch, "Visionen vom Jenseits" (Ausschnitt)

3. Universalisierung: Weltoffenheit und neue Abgrenzungen

Die Entstehungsgeschichte der Menschheit ist auch die Geschichte der Ausweitung der ursprünglich engen ethnozentrischen Horizonte und der Ausbreitung universalistischer Ideen (Idee der einen Menschheit und der individuellen Menschenrechte). Einerseits leben immer mehr Menschen heute in anonymen Massengesellschaften und in globalen Vernetzungszusammenhängen, andererseits ist der Homo sapiens ursprünglich auf ein Leben in kleinen überschaubaren (personalisierten) Gemeinschaften "geprägt".

Das führt auch zu einem Konflikt zwischen den Ideen und Leitbildern der Weltoffenheit und individuellen Freiheit einerseits und separatistischen Wir-Ideologien (Nation, Volk, Religion) andererseits. 

Kann sich die universalistische Idee und Vision einer Gemeinschaft der Menschheit gegenüber ethnozentrischen oder anderen separatistischen Neigungen und Tendenzen durchsetzen? Oder bleiben die Ideale der allgemeinen Menschenrechte und der Demokratie letztlich ein Konzept des „Westens"? Autoritär-nationalistische Tendenzen nehmen zu. Geraten die Demokratien wieder in die Defensive?

Zu diesen Fragen präsentiere ich vorerst zwei Texte. Der zweite ist ein Auszug aus dem Essay "Die westliche Moderne und das Unheil in dieser Welt".

III Krise der Demokratie.pdf
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III. Universale Menschenrechte.pdf
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Teil IV: Freiheit oder Gerechtigkeit?

Ich werfe nun einen Blick auf einige neuere philosophische Denkansätze. Dabei beziehe ich mich fast ausschließlich auf Sekundärliteratur. Im Mittelpunkt des (eklektizistsichen) Vorgehens steht die Frage, ob und wie in unserer Zeit die Ansprüche sowohl auf individuelle Freiheit als auch auf soziale Gerechtigkeit versöhnt werden können.

Befragt werden:

1. Der US-amerikanische Philosoph John Rawls: Freiheit und Gerechtigkeit verbinden 

2. Der Kommunitarismus (Michael Walzer, Charles Taylor): Leben in Gemeinschaften

3.Der US-amerikanische Philosoph Richard Rorty: Empathieförderung für eine solidarische Gemeinschaft

4. Der Utilitarismus (Jeremy Bentham, Peter Singer): Das Wohlergehen aller als Ziel

5.Arthur Schopenhauer: Egoismus und Sinnlosigkeit durch eine Ethik des Mitleids überwinden

6.Friedrich Nietzsche: Amoralische Lebenskraft und Übermenschentum

7.Der Existenzialismus (Jean Paul Sartre, Albert Camus: Individuelle Freiheit und tätiges Leben im Lichte der Sinnlosigkeit

8.Der Konstruktivismus: Individuelle Wirklichkeiten als Quelle von Missverständnissen

Ggf. folgen noch weitere "Befragungen".

Teil IV umfasst derzeit 45 Seiten (Stand: Ende 2019).

IV. Freiheit oder Gerechtigkeit.pdf
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Ergänzend noch zwei aktuellere Texte zu John Rawls Theorie der Gerechtigkeit.

Räuber und Gerechtigkeit.pdf
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